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Bundwerkstadel


Bundwerkstadel sind eine charakteristische Bauweise an landwirtschaftlichen Gebäuden im Landkreis Traunstein. Das Material Holz war in unserer waldreichen Gegend seit jeher ein bevorzugtes Baumaterial. Der Zimmermann gehört damit bei uns zu den ältesten Berufen. Im bayerischen Siedlungsraum schuf sich dieser Berufszweig ein besonders eindrucksvolles Denkmal der Handwerkerkunst: das Bundwerk. Es ist ein zimmermannsmäßig abgebundenes Fachwerk, bei dem die Holzbalkenkonstruktion nicht ausgemauert, sondern von der Innenseite her mit Brettern verschalt wird. Da dabei außen das ganze Riegelgerippe sowie jede einzelne Verbindung sichtbar bleiben, erfordert diese Technik eine sehr sorgfältige Ausarbeitung der Hölzer.

Die Vierseithoflandschaft des nördlichen Chiemgaues und des Rupertiwinkels waren durch die im 19. Jahrhundert zur höchsten Blüte entwickelte Bundwerkarchitektur geprägt. Sie stellte das wichtigste Gestaltungselement dieser bäuerlichen Hauslandschaft dar. Dabei lässt sich dem Rupertiwinkel als typische Besonderheit das sehr farbig bemalte Bundwerk zuordnen; das häufig nur traufseitige, nicht mit Farbe bearbeitete Bundwerk dagegen findet man öfters im Chiemgau, ebenso wie hier Bundwerk auch über der weiß verputzten Bruchsteinmauer des Untergeschosses aufgesetzt anzutreffen ist.

Mehr als dreihundert, teilweise über dreißig Meter lange Stadel werden heute im Landkreis Traunstein gezählt. Die Schönheit und der Wert des Bundwerks hat sich in den letzten Jahrzehnten im Bewusstsein der Bevölkerung so vertieft, dass auch bei Neuerrichtungen von landwirtschaftlichen Gebäuden wieder häufig an die alte Tradition angeknüpft wird. Dabei stehen die Bauherren heute sowohl bei einer Renovierung als auch beim Neubau dem gleichen Problem der relativ hohen Kosten gegenüber wie die Bauherren früherer Zeiten.

Die Kosten ergeben sich beim Bundwerk weniger aus der Materialwahl, sondern aus dem Mehrfachen an Zeitaufwand, der bei der Verarbeitung im Vergleich mit einer glatten Holzwand nötig wird. Eine Bemalung stellt einen weiteren Kostenfaktor dar, zumal diese häufig erneuert werden muss. Bei Restaurierungen kann dies heute nur durch Fachleute ausgeführt werden, da moderne Farben das Bundwerk verunstalten würden.

Das prächtigste Bundwerk fand man früher wegen der kostenintensiven Herstellung meist bei den reicheren Bauern. Man kann dabei oft den Eindruck gewinnen, als wollte damals ein Bauer den anderen übertrumpfen, indem er ein noch schöneres, bunteres und vielfältigeres Bundwerk durch einen Zimmermann errichten ließ.

Die Blütezeit des Bundwerkbaues im Chiemgau war vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis etwa zum Jahr 1860. Zwar stellt die enge überkreuzende Anordnung der Hölzer mit den sich so ergebenden rautenförmigen oder quadratischen Bundwerksfeldern allein bereits eine harmonisch wirkende Ornamentform dar, doch erlebte die prachtvolle barockisierende Ausgestaltung der Zierelemente mit ihren pflanzlichen und tierischen Motiven hier auch einen Höhepunkt. Nach dieser Zeit regiert im Formenschatz die Neugotik, bei der vor allem die zoomorphen Elemente zurücktreten.

Das naive Nebeneinander von Motiven und Elementen aus den zeitlich verschiedensten Stilrichtungen bäuerlicher, bürgerlicher und religiöser Kultur in faszinierender Dichtheit machen den besonderen Reiz der kunterbunten Dekoration am Bundwerk aus: heimische Tiere, aber auch Löwen, Monstranzen, Kelche, Pflüge, Pinienzapfen und Pflanzen, Schlangen, klassizistische Kapitelle, Spruchbänder, Fabelwesen, furchteinflößende Dämonen und Fratzen aus vergessener Volksmythologie sind ebenso zu finden wie Heilige oder Symbole aus der Welt des Christentums oder Sinnsprüche.

Zur Ausprägung der Hochblüte der Bundwerkskunst trugen möglicherweise mehrere Aspekte bei: Die vollentwickelte ausgereifte Zimmermannstechnik, der wachsende Hang zur Dekoration, der im Zusammenhang mit den Einflüssen der verbesserten Verkehrsverbindungen zum Vorbild erwachsene großstädtische Historismus, die wachsende Neigung zur Repräsentation sowie ein gleichzeitiger wirtschaftlicher Höhepunkt wirkten hier zusammen.

Die prächtigen Bundwerkstadel stellen innerhalb der bäuerlichen Kultur unserer bayerischen Landschaft ein einzigartiges und baukünstlerisches Phänomen dar. Neben der hohen landschaftsprägenden und ortsbildbestimmenden Bedeutung weisen sie uns auch auf die tiefverwurzelte bäuerliche Achtung der Natur und der aus ihr gewonnenen Gaben hin. Diese Wertschätzung gewinnt gerade in der jetzigen Zeit wieder neue Dimensionen. Die wichtigste Habe des Bauern, das Futter für das Vieh, Ernte- und Saatgut, wurde im 19. Jahrhundert, zur Blütezeit großbäuerlicher Bau- und Wohnkultur, nicht nur in einfachen Zweckbauten geborgen: Das Beste, was Zimmerleute und Maler leisteten, war gerade gut genug zur Ausgestaltung dieser Bauten.

Veröffentlicht in Kultur & Brauchtum am 13. Januar 2022